Die meiste Zeit seines Lebens verbringt Johann Heinrich von Thünen auf seinem Gut in Tellow. Einerseits hindern ihn körperliche Beeinträchtigungen daran, sonderlich viel zu reisen, andererseits ist er getrieben von einem extremen Forscherdrang. Er erhebt auf seinem Gut mit Hilfe akribischer Buchführung agrarökonomische Daten und entwickelt diese dann durch sein fortschrittliches mathematisches Verständnis zu Formeln weiter. Heute gilt er als einer der Begründer der Volkswirtschaftslehre. Seine Grenzproduktivitätstheorie findet auch heute noch Anwendung, allerdings trug sie zu von Thünens Lebzeiten noch nicht diesen Namen. Wer genau war also Johann Heinrich von Thünen?
Johann Heinrich von Thünen wird am 24. Juni 1783 in Canarienhausen in Mecklenburg-Vorpommern geboren. Relativ kurz danach, im Jahre 1789, stirbt sein Vater und er zieht zu seinem Großvater in das nahe gelegene Hooksiel. Eben dort geht er zehn Jahre später als Zögling auf das Gut Gerrietshausen. Er wechselt bald darauf auf die Landwirtschaftliche Lehranstalt zu Groß Flottbeck, die von seinem späteren Mentor und Vorbild Lukas Andreas Staudinger gegründet und betrieben wurde. Ein Jahr später schreibt er sich für ein Studium der Nationalökonomie an der Universität Göttingen ein, bricht das Studium jedoch nach zwei Monaten aufgrund der Verlobung mit Helene Berlin wieder ab. Im Januar 1806 heiratet er sie schließlich. Nach dem Tod seines Vaters kauft er 1810 mit seinem Erbe das Gut Tellow, auf dem er bis zu seinem Tod arbeitet und forscht.
Es ist das Jahr 1826. Thünen veröffentlicht den ersten Band seines Hauptwerks unter dem Titel „Der isolirte Staat in Beziehung auf Landwirthschaft und National-Oekonomie oder Untersuchungen über den Einfluß, den die Getreidepreise, der Reichthum des Bodens und die Abgaben auf den Ackerbau ausüben.“
Bei dem isolierten Staat handelt es sich um ein von von Thünen entwickeltes Modell, mit Hilfe dessen er seine Theorien auf die beiden Faktoren „Transportkosten“ und „Landnutzung“ eingrenzt.
In diesem Staat gibt es nur eine einzige Stadt, den „Markt“ in der Mitte und außen um die Stadt herum ist nur flaches, fruchtbares Land. In diesem Modell ergeben sich nun mehrere Bereiche, in denen das Land unterschiedlich genutzt wird. Diese Bereiche verteilen sich ringförmig um die Stadt herum und heißen heute dementsprechend „Thünenringe“. Die Transportkosten und die Menge an Land, die für die Produktion der verschiedenen Güter benötigt wird, entscheidet über den Produktionsstandort. Dabei nimmt Heinrich von Thünen an, dass die Bauern stets gewinnorientiert handeln. Aus diesen Voraussetzungen ergeben sich dann drei Ringe. Im innersten Ring befinden sich leicht verderbliche und schwer transportierbare Güter wie Milch und Eier, im zweiten Ring verordnet Thünen Nutzvieh und Wald und im äußersten Ring bauen die Bauern in seinem Modell Getreide an.
Für diesen ersten Band seines Hauptwerks erhält er im Jahre 1830 die Ehrendoktorwürde der Universität Rostock.
Während seiner Forschungen betreibt Johann Heinrich von Thünen sein Gut nicht allein, sondern hat mehrere Arbeiter, die er entlohnt und darüber hinaus in Häusern auf seinem Grundstück wohnen lässt.
Deshalb kommt er auch zu Erkenntnissen, wie ein Ökonom seine Angestellten am besten bezahlen sollte. Er schreibt diese im zweiten Teil seines Hauptwerks nieder, der im Jahr seines Todes erscheint und den Titel : „Der naturgemäße Arbeitslohn und dessen Verhältniß zum Zinsfuß und zur Landrente“ trägt.
In diesem Werk hält von Thünen seine Lohnformel fest, die später auch auf seinem Grabstein steht: „Lohn=Wurzel ap“. Hierbei steht „a“ für den notwendigen Lebensunterhalt der Arbeiter und „p“ für den Wert der Arbeit der Erzeugnisse. Thünen selbst schrieb dazu: „Ein Landwirt werde nur so lange Arbeiter einstellen, wie der dadurch erzielbare Mehrertrag noch höher sei als der zusätzlich zu zahlende Lohn. Da es aber nur einen einheitlichen Lohn geben könne, bestimme die Entlohnung des zuletzt beschäftigten Arbeiters die generelle Lohnhöhe.“
In etwas einfacheren Worten heißt das, dass es sich nur lohnt, eine neue Arbeitskraft einzustellen, wenn der erwirtschaftete Gewinn dadurch soweit erhöht wird, das er die Kosten der zusätzlichen Arbeitskraft übersteigt. Eigentlich relativ einfach, damals allerdings bahnbrechend.
Im Jahre 1848 wird er in die Frankfurter Nationalversammlung berufen, kann die weite Reise aber aufgrund seiner immer schlechter werdenden Gesundheit nicht antreten. Zwei Jahre später stirbt Thünen und wird in Tellow begraben. Seinen Grabstein ziert seine berühmte Lohnformel.
Seine mathematischen Methoden und agrarwissenschaftlichen Überlegungen stoßen bei seinen Zeitgenossen nicht auf besonders viel Gegenliebe. Durch die zunehmende Industrialisierung finden sie nicht sonderlich viel Beachtung. Diese sorgt für neue Methoden des Gütertransports und rüttelt damit an Teilen der Grundstruktur seiner Theorien. Außerdem ist Heinrich von Thünen seiner Zeit so weit voraus, dass es seinem Umfeld meistens einfach nicht möglich ist, seine Ausführungen und Berechnungen zu verstehen.
Seine Beliebtheit, die ihm die Einladung zur Frankfurter Nationalversammlung einbringt, rührt eher von seinem Lohnmodell her, als von seinem agrarwissenschaftlichen Werk. Leider kann von Thünen aufgrund seiner schlechten gesundheitlichen Verfassung die Reise nach Frankfurt nicht antreten und verpasst so eines der wichtigsten nationalen Ereignisse seiner Lebzeit.
Heute gilt von Thünen als einer der Begründer der Volkswirtschaftslehre. Seine Grenzproduktivitätstheorie, die natürlich noch nicht so heißt, als er sie aufstellt, ist ein fester Bestandteil der VWL. Das Grenzprodukt, das mit ihr errechnet wird, ist der Zuwachs an Output, wenn man den Inputfaktor um eine Einheit erhöht. Das könnte zum Beispiel der Inputfaktor „Arbeit“ sein. Das Grenzprodukt ist dann die Steigerung der Outputmenge, wenn man den Inputfaktor „Arbeit“ um eins erhöht, als einen zusätzlichen Arbeiter einstellt, oder die Arbeitszeiten verlängert.
Sein Name findet sich in verschiedenen Institutionen wieder. Die Thünengesellschaft beschäftigt sich aktiv damit, die Erinnerung an den Agrarökonomen zu erhalten. Ein weiteres Ziel der Gesellschaft ist es, seine Erkenntnisse und die Informationen über sein Leben der Nachwelt zur Verfügung zu stellen.
Das Thünen-Gut in Tellow ist heute ein Museum. Hier kann man viel über die Person Johann Heinrich von Thünen erfahren und außerdem ist dort auch alte Technik der Landwirtschaft ausgestellt. Wer länger verweilen möchte, kann dort übernachten oder sich in das Café setzen.
Außerdem gibt es noch das Thünen-Institut. Es heißt offiziell „Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei“ und ist Teil des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Das Institut hat Zweigstellen in ganz Deutschland verteilt und erforscht nachhaltige, ökologisch verträgliche und wettbewerbsfähige Konzepte in den genannten Bereichen. Seine Erkenntnisse gibt es dann an politische Entscheidungsträger und in verschiedenen Kommissionen weiter.
Johann Heinrich von Thünen ist also durch Zielstrebigkeit und viel Einsatz, aber auch durch in seiner Zeit überragende mathematische Fähigkeiten zu damals bahnbrechenden Erkenntnissen gelangt. Sein geistiges Erbe und auch sein Name leben heute in verschiedenen Institutionen weiter. Durch die Ehrendoktorwürde ist sein Name auch für immer an die Universität Rostock gebunden. Seine Grenzproduktivitätstheorie findet heute noch Anwendung. Damit ist von Thünen eine wahrlich bemerkenswerte Persönlichkeit der Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns.