Ein Rostocker Startup forscht an einem Energiesystem, das Privathaushalten eine eigene Versorgung ermöglichen soll
Energie aus Umgebungsluft zu gewinnen ist eine verlockende Idee, die auch in kleinerem Maßstab, als mit einem Windrad funktioniert. Die Rostocker Firma Gensoric entwickelt ein System, das mit dem sogenannten Power-to-Liquid-Verfahren nicht weniger als eine Revolution in der Energiewende bringen könnte. Dabei wird Methanol, ein Brennstoff und Energiespeicher, mithilfe von Enzymen hergestellt. Benötigt werden nur Kohlenstoffdioxid (CO2) aus der Luft, Wasser und Strom, bestenfalls umweltfreundlich aus einer Photovoltaikanlage.
Die Forschung befindet sich im Endstadium: Schon 2020 soll die Anlage, die nach dem englischen Wort für Willenskraft „Willpower Energy“ getauft wurde, auf den Markt kommen.
Das Ziel ist es auf lange Sicht private Hausbesitzer unabhängig von fossilen Brennstoffen zu machen und so herkömmliche Energieversorgung zu ersetzen. Gensoric möchte in Europa ansetzen, wo Heizungssysteme etwa 73% der fossilen Brennstoffe verbrauchen und damit auch für mehr als 57% aller CO2-Emissionen in den 28 EU-Staaten
verantwortlich sind. Alleine in Deutschland sieht das Unternehmen einen Markt von vier Millionen Haushalten, die das System unterstützen können.
„Zur Zeit gehen wir von Einfamilienhäusern aus, insbesondere Neubauten, die auch schon Solarzellen auf dem Dach haben“, sagt Nadine Dietze, verantwortlich für Reaktorentwicklung bei Gensoric. Wer das erzeugte Methanol weiterverarbeiten möchte, benötigt, zusätzlich zum System für bis zu 15.000 Euro, auch noch ein eigenes Blockheizkraftwerk.
Laut Berechnungen des Unternehmens sei der Markt aber groß genug und alleine in Westeuropa liege das
Potential bei 38 Milliarden Euro. Ist diese Herangehensweise erfolgreich, schweift der Blick über den Nordatlantik nach Amerika. Dort wird noch mehr geheizt: 2013 entfielen fast 60% des Energieverbrauchs eines durchschnittlichen Haushalts auf Wärme, 86% davon stammen aus fossilen Brennstoffen.
Die größten Hindernisse für das 17-köpfige Team bei der Umsetzung für den Massenmarkt erkennt Prof. Dr. Hermann Seitz schnell, der den Lehrstuhl für Fluidtechnik an der Universität Rostock besetzt. „Knackpunkte sind sicherlich der Wirkungsgrad des Systems (in Form von Methanol gewonnene Energie
Die Funktionsweise von Willpower Energy mit interaktiver Grafik
in Relation zu der elektrischen Energie, die in das System fließt), die Kosten des Systems (Wirtschaftlichkeit) und die Robustheit des enzymatischen Prozesses, der eine stabile Prozessführung benötigt und perspektivisch auch im Heimbereich autonom ablaufen muss.“ Eine qualifizierte Aussage könne Seitz aber nicht machen, da er die Technik nur oberflächlich kenne.
Zum Wirkungsgrad möchte Uta Hermes, Leiterin Marketing und Sales bei Gensoric, noch keine finale Aussage treffen. Im kleinen Maßstab sei es den Forschern aber schon gelungen einen Wirkungsgrad von 35-38% zu erreichen. Das erzeugte Methanol ist im direkten Vergleich mit Heizöl ein wenig günstiger und kann dazu noch wesentlich länger und effektiver Energie speichern. Zu der Wirtschaftlichkeit sei Gensoric bewusst, dass sie wettbewerbsfähig sein müssen. Auch mit den Enzymen hat sich das Unternehmen beschäftigt. „Der Mitgründer Dr. Flechsig hat sich schon vor der Gründung von Gensoric im Jahr 2009 ausgiebig mit Biomolekülen und Enzymen auseinandergesetzt“, sagt Hermes.
Anderen Wissenschaftlern von der Universität ist das Projekt Willpower Energy auch bekannt. Prof. Dr. Egon Hassel vom Institut für Thermodynamik kenne das Projekt unter anderem aus dem Vortrag eines Studenten, der in der Firma an diesem Projekt arbeitet. Dem System steht der Professor grundsätzlich positiv gegenüber: „Jede neue Idee und jede neue Technik, um die Energiewenden in der Bundesrepublik zu schaffen, sind willkommen. Viele Arbeitsgruppen weltweit sind dabei Wege zu finden, kostengünstig und zuverlässig Methanol aus regenerativem Strom und Kohlendioxid zu gewinnen.“ Die University of Southern California (Universität von Südkalifornien) hat bereits vor zwei Jahren in einer ausführlichen Studie die Umwandlung von Kohlenstoffdioxid in Methanol nachgewiesen. Doch auch dieser Prozess sei nicht perfekt: „Probleme bei der Generierung von
Methanol über biologisch-chemische Prozesse mithilfe von Kohlendioxid aus der Luft, sind mindestens die Aufkonzentration bzw. Gewinnung des Kohlendioxids aus der Luft, weil dort die Konzentration sehr gering ist, die Reinigung des entstandenen Methanols, bzw. die Gewährleistung, dass in dem Prozess über längere Zeit der Reaktionspfad die Menge und Qualität des entstandenen Produktes gewährleisten kann, und zwar in einem Kostenrahmen, den der Markt akzeptiert“, sagt Hassel. „Gut, dass es in Mecklenburg-Vorpommern solche Forschung gibt.“
Eine technische Lösung für die Gewinnung von CO2 aus der Luft hat Gensoric kurioserweise in der Raumfahrt gefunden. Zu diesem Zweck verwenden die Rostocker eine Erfindung der Europäischen Weltraumorganisation (ESA), die etwa zehn Kilogramm Kohlenstoffdioxid pro Tag einfängt.
„Gut, dass es in MV solche Forschung gibt.“ – Prof. Egon Hassel
Der nächste Schritt für das Forscherteam bis zur Markteinführung ist die Analyse von Daten ihrer Pilotanlage, die im vergangenen Jahr aufgrund der Aktionen als Grüne Hauptstadt Europas, am Baldeneysee in Essen installiert wurde. „Gerade arbeiten wir daran, eine verbesserte Version der ersten Reaktorenmodelle zu konstruieren, die wir in unserer ersten Pilotanlage verbaut haben“, sagt Nadine Dietze. „Nun sind wir dabei eine noch bessere, schönere und elegantere Lösung für den Reaktor zu finden.“
Auch stehe momentan die Arbeit mit wichtigen Geschäftspartnern im Vordergrund, so Uta Hermes. Wichtige Partner sind Unternehmen wie Skytree aus den Niederlanden und die RWE-Tochter Innogy.
„Wir sind dabei den Markteintritt vorzubereiten und Firmen zu finden, die weitere Pilotanlagen mit uns aufstellen wollen“, sagt Hermes. Finanziell ist Gensoric auf der sicheren Seite: Ein Programm der Europäischen Kommission unterstützt die Arbeit mit 2,5 Millionen Euro. Weiterhin konnte Willpower Energy auch viele Investoren durch Crowdfunding (Schwarmfinanzierung) auf sich aufmerksam machen. Dies dürfte sich nur noch verbessern: Aktuell hat Willpower Energy den Climate CoLab gewonnen, einem Wettbewerb des Massachusetts Institute of Technology (MIT, Institut für Technologie Massachusetts). Damit haben die Forscher die Chance, ihre Erfindung vor Ort in Boston einem großen Publikum vorzustellen.